In der Schule der Freunde Gottes

Romano Guardini 1885-1968

ChristaPfenningberger

"Ich will Interpret der Kirche sein, sonst nichts."

Guardini war von Beruf und Berufung Priester. Und er war Lehrer. Priester und Lehrer, das nennt er selbst die zwei wesentlichen Linien seines Lebens. Johannes Paul II. zählt ihn 1980 in Altöttingen zu den bahnbrechenden deutschen Theologen. Priester, Theologe, Lehrer, Jugendleiter.... ein Leben für Gott und die Kirche, ein unaufhörliches Suchen und Fragen nach der Wahrheit in der liebenden Sorge um den Menschen.

Kindheit

Romano Guardini wird am 17. Februar 1885 in Verona, als ältester von vier Brüdern in Italien geboren. Ein Jahr nach der Geburt Romanos übersiedelt die Familie nach Mainz, wo Guardini ganz in die deutsche Kultur hineinwächst. Er ist auch der einzige der Familie, der sich entscheidet in Deutschland zu bleiben und nicht nach Italien zurückzukehren. Die Eltern sind gläubig und gehen jeden Sonntag zur Kirche; die Religiosität ist in der Familie wie selbstverständlich gegeben, wenngleich man über Religiöses nicht ohne besonderen Anlass spricht. Die Entscheidung Romanos zum Priestertum nach zwei abgebrochenen Studien trifft bei den Eltern anfänglich auf erheblichen Widerstand.

"Mir ist der ganze Glaube zerronnen"

Nach dem Abitur stellt sich dem 18- jährigen die schwierige Frage nach der Berufswahl. Er studiert zuerst Chemie, allerdings ohne sonderliche Begabung und Neigung, um dann zu den Staatswissenschaften zu wechseln. Er sah nach wenigen Semestern ganz klar, dass er in beiden Richtungen fehl am Platz war, dass beides nicht sein Innerstes berühren und freisetzen konnte. Aber was sonst? Die bisherige Berufswahl war also gescheitert; er begann an die Medizin zu denken... "Ich sah mit Grauen die Frage auftauchen, was aus mir werden solle? Wie konnte ich meinem Vater sagen, auch mit diesem zweiten Studium sei es nichts und, noch schlimmer, ich wisse kein anderes?"
Das Ringen um seinen Weg wirft ihn in ungekannte Tiefen: "Meine religiösen Überzeugungen gerieten ins Wanken. Einen besonderen Anlass kann ich dafür nicht nennen. Wenn ich Abends mein Abendgebet sprechen wollte, wusste ich nicht, wohin ich es richten solle und ich habe manches Mal - eine groteske Sache - einen Gottesbeweis rekapituliert, um zu wissen, dass es einen Gott gäbe, zu dem ich beten könne ... damals ist mir der ganze Glaube zerronnen."

Der geistliche Einbruch

In dieser ausweglosen, für Romano sehr schmerzhaften Krise kommt ihm Gott sozusagen entgegen: In ihm wächst eine neue Gestalt des Glaubens, eine Entschiedenheit für den Glauben, die über die elterliche Prägung und das zerronnene religiöse Schulwissen hinausging. Mit seinem besten Freund Karl spricht Guardini viel über die Fragen des Glaubens. Ein Gespräch wird unvermutet zu einer Stunde der Gnade: "Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen ... Karl und ich hatten über die Fragen, die uns beide beschäftigten gesprochen und mein letztes Wort hatte gelautet: Es wird wohl auf den Satz herauskommen: Wer seine Seele festhält, wird sie verlieren; wer sie aber hergibt, wird sie gewinnen.
Da war mir zumute, als ob ich alles - wirklich alles, mein Dasein - in meinen Händen trüge, wie in einer Waage, die im Gleichgewicht stand: Ich kann sie nach rechts sinken lassen oder nach links. Ich kann meine Seele hergeben oder sie behalten ... Und da habe ich die Waage dann nach rechts sinken lassen. Der Augenblick war ganz still.
Da war weder eine Erschütterung noch eine Erleuchtung ... Es war die ganz klare Einsicht: "so ist es" - und die unmerklich leise Bewegung: "so soll es sein." In den nächsten Tagen war ich sehr glücklich, in einem ruhigen und stillen Glück."
Guardini fühlt in diesem Wort aus dem Matthäusevangelium einen Weg zur Wahrheit sich öffnen, zum Leben, zum Dasein. Er will fortan sein Leben Gott geben. Aber nicht in einem allgemeinen, vagen Sinn, sondern seine Entscheidung für Christus ist als endgültige Antwort vor der Kirche gefallen. Guardini hat den Anruf Gottes erfahren, dabei ist sein Innerstes, seine Person erwacht, nun bereit, den Weg, den Gott in führt, zu gehen. Sehr viel von dem, was Guardini später schreiben und lehren wird, hat in diesem Bekehrungserlebnis seine existenziellen Wurzeln.
Er führt nun sein religiöses Leben mit neuer Kraft und neuem Sinn gefüllt weiter. Allerdings ist die quälende Frage der Berufswahl immer noch nicht geklärt. Eines Sonntags, beim Hochamt kommt ihm, angesichts eines Dominikaners, der voller Frieden mit seinem Klingelbeutel kollektierend herumgeht, der Gedanke: "Du könntest Priester werden! Und da war es, als ob alles ruhig und klar würde und ich ging mit einem Glücksgefühl nach Hause, wie ich es seit langem nicht mehr empfunden hatte."
1910 wird Guardini im Mainzer Dom zum Priester geweiht. Zur Priesterweihe eines Freundes schreibt Guardini später folgende Worte, die sein eigenes priesterliches "Programm" zum Ausdruck bringen: "Ich wünsche dir ein Gott ganz nahes und unserer Zeit ganz nahes Priesterleben. Es möge so sein, dass du um das ganz besondere Amt wissest mit seiner Gewalt von Gott zu den Menschen; von den Menschen zu Gott. Aber zugleich ganz gelöst und selbstverständlich als Bruder neben die Geschwister tretest." Guardini stellt sich mit den Menschen zusammen in das Suchen und Fragen hinein, um mit ihnen gemeinsam Wege und Klärung zu finden. Er selbst nennt das ein brüderlicher Priester sein.

Der Lehrer: "Die Welt in Wahrheit sehen"

Jahrzehntelang lehrt Guardini an verschiedenen Universitäten Deutschlands. Der Grundantrieb in Guardinis Denken war die Sehnsucht, zu "sehen, was ist." Sein Lehrstuhl heißt bezeichnenderweise Lehrstuhl für christliche Weltanschauung. Welt ist für ihn ein Werk des sich offenbarenden Gottes, und diese will er in ihrer eigentlichen Wahrheit sehen. Deshalb betrachtet er die Welt und begegnet ihr vom Blickpunkt der Offenbarung und von dort her leistet er - die auch für unsere Zeit so notwendige - Unterscheidung und erzieht das Denken dazu, dass es christlich werde und christlich unterscheiden lerne. Er selbst bezeichnet die Dogmen als das Koordinatensystem seines Denkens. Die Palette seines schriftstellerischen Schaffens ist ungemein weit: Er reflektiert über die anthropologische Bedeutung der Mickey Mouse genauso wie über die religiösen Gestalten in Dostojewskis Werk. Dabei geht es ihm immer um Gott und wie die Menschen zu Ihm finden können. Sein Stil ist unaufdringlich und gänzlich unpolemisch, beinahe zart und leise, möchte man sagen, aber seine Gedanken sind kräftig und tief. In Vorträgen und Gesprächen merkt Guardini immer mehr, was sein ureigenstes Charisma ist: Er kann Erfahrungen, Ahnungen, Hoffnungen, Ängste aber auch Symptome einer Gesellschaft und einer Zeit in Worte fassen. Was gleichsam unausgesprochen eine Zeit und Welt prägt, das nimmt er in den Blick und ordnet es hin auf die Offenbarung. Er kann Offenbarung und Glaube einerseits mit Welt und Zeit andererseits in Verbindung bringen, dergestalt, dass es für den Einzelnen Deutung und Wegweisung wird.
Die Fähigkeit, die Wahrheit zum Leuchten zu bringen, prägt auch Guardinis seelsorgerische Tätigkeit im persönlichen Gespräch.
Wahrheit bedeutet ja auch: "Sein Leben, sein Dasein so zu sehen, wie es wirklich ist, den Blick auf den eigenen Weg, auf das eigene Leben vor dem Horizont, wie es Gott eigentlich gewollt hat." Vielen hat er in Gespräch und Begleitung geholfen, ihre Lebens-Wahrheit zu finden und anzunehmen und so weitergehen zu können. "Ich lernte immer besser zuzuhören und den Raum zu schaffen, in welchem der andere nicht bloß zum Sprechen frei wird, sondern auch sich selbst richtig in den Blick bekommt. Und zu verstehen: Keine fertigen Schemata anzulegen, sondern den Menschen, der ja immer ein Einzelner ist, aus ihm selbst zu erfassen. Daraus ergibt sich das klärende oder richtungsweisende Wort oft ganz von selbst."

"Ein Geheimnis, heilig und bergend zugleich"

Guardini zählt zu den zentralen Gestalten des liturgischen Aufbruchs, wie er sich im 20. Jahrhundert in der katholischen Kirche vollzogen hat und der seinen Höhepunkt in der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils gefunden hat. (siehe dazu Seite xx). Liturgie ist für Guardini eine wesentliche Lebensäußerung der Kirche und darum wünscht er sehnlichst, dass Liturgie auch wesentlich- eines seiner Lieblingswörter- gefeiert wird. Als junger Student hatte Guardini bei Benediktinern eine tiefgreifende liturgische Erfahrung gemacht: "Die Kirche war schon dunkel, nur wenig Lichter im Chor. Die Mönche standen an ihren Plätzen und beteten die schönen Psalmen. Durch die ganze Kirche waltete ein heiliges Geheimnis, heilig und bergend zugleich."
Guardini ist mit einer Ahnung erfüllt, was Liturgie sein kann und soll. Er sieht, wie viel Mächtiges und Herrliches die Liturgie birgt. Die Liturgie bliebt Guardinis Anliegen sein ganzes Leben lang. Er erkennt und versteht, dass Liturgie einen heiligen Raum aufspannt, in den Gott den Menschen, jeden Menschen, einlädt einzutreten, um Anteil zu haben am Leben Gottes.
Liturgie als ein Sichtbarwerden des Unsichtbaren, die Verleiblichung des Geistes, als den Nachvollzug der Inkarnation Jesu. Besonders deutlich wird dies natürlich in der Feier der Eucharistie. Besorgt fragt Guardini, inwieweit der heutige Mensch fähig sei, Liturgie zu feiern, inwieweit er "die andere Seite" im liturgischen Tun überhaupt noch wahrnehmen kann.
Liturgie hat für Guardini wesentlich mit Leiblichkeit zu tun. Er sagt selbst, "wir müssen weg von einer verlogenen Geistigkeit! Der ganze Mensch trägt das liturgische Tun."
Der Mensch muss wieder symbolfähig werden, er muss wieder lernen, dass Ganze aus zwei Hälften besteht und wenn die eine Hälfte fehlt - der vollziehende Ausdruck - dann ist das Innere nicht nach außen gedrungen. Das alles bleibt allerdings nicht nur schöne Gedankenwelt, wohlformuliert in Büchern niedergeschrieben, sondern seine Sicht von Kirche und Liturgie findet im Umgang und in der Zusammenarbeit mit den Jugendlichen ihre konkrete Umsetzung.

Der Jugendleiter

Guardini ist bis in die Tiefe seines Lebens und Wirkens mit der Jugendbewegung verbunden.
Die katholische Jugendbewegung, in der sich Jugendliche zusammenfinden in der Sehnsucht gemeinsam neue Wege zu gehen, gliedert sich in verschiedene Verbände. Einer dieser Zusammenschlüsse, der Quickborn, wird für Guardini wesentlich und umgekehrt. Der Quickborn hat seinen Sitz auf einer Burg in der Nähe von Würzburg, Rothenfels, deren Leiter Guardini für 12 Jahre ist, von 1927 bis 1939.
Guardini hat eine besondere Gabe die Jugend zu führen. Durch Vorträge, verschiedene Werkwochenenden - die wir heute Workshops nennen würden - und vor allem durch das Feiern der Liturgie eröffnet Guardini den Jugendlichen einen neuen Zugang zur Kirche. Kirche als ein lebendiger Organismus, in den der einzelne Gläubige organisch und lebendig hineingefügt ist. Als Teil diese Leibes ist der Einzelne auch eine unvertretbare Ausformung desselben. Auf Burg Rothenfels geschieht, was Guardini einen religiösen Vorgang von unabsehbarer Tragweite nennt: die Kirche erwacht in den Seelen. Ganz von selbst ergibt sich dann der Wunsch, immer tiefer in dieses Beten einzudringen, die liturgischen Handlungen immer besser zu verstehen und an ihnen, jeder an seinem unaustauschbaren Platz, aktiv teilzunehmen.
Darin versucht sich Guardini mit den jungen Leuten einzuüben: Atmen, Schreiten, Stehen, Tanz, Schweigen, Singen, Sprechchöre, das alles wird neu "entdeckt" und gelebt; man entdeckt die Ganzheit des liturgiefeiernden Menschen, vor allem die Dimension seiner Leiblichkeit, die Bedeutung des liturgischen Raumes sowie der liturgische Kleidung. Dabei ist Liturgie für Guardini nie Selbstzweck eines Menschen, der sich ausleben und selbsterfahren will, nein, sie ist immer ein Weg zu Christus. Es ist unumstritten, dass die Bemühungen um eine liturgische Erneuerung auf Burg Rothenfels unmittelbares Vorbild für die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils waren.

1933

In diesem Jahr übernehemen Hitler und die Nationalsozialisten die Macht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Auswirkungen auch in Guardinis Leben und Wirken bemerkbar machen. 1939 wird Gaurdinis Lehrstuhl aufgehoben. Erstaunlich ist nicht, dass sein Lehrstuhl für Christliche Weltanschauung aufgehoben wird, sondern dass es erst so spät geschieht. Er selbst ist von Semester zu Semester darauf gefasst. Ab 1936 wird sein Tun von der Gestapo überwacht, sowohl auf der Universität wie auf der Burg, auch sein Privatleben.
1939, im August, wird die Burg von den Nationalsozialisten konfisziert. Das schöne Leben dort hört auf, der Geist und Freude am Glauben, an Gemeinschaft und Kirche verstummten. Einen Monat später beginnt der Krieg. In einer Nacht und Nebel Aktion kann man noch belastendes Material vernichten, eine Aktion, die vermutlich Guardini vor weiteren Schritten der Gestapo bewahrt.


"Die Ehrungen kommen, das Leben geht."

Lange Zeit hat Guardini um die Anehrkennung von Seiten der Kirche zu kämpfen. Immer wieder muss er sich gegen Missverständnisse wehren, nicht nur in Fragen der liturgischen Erneuerung. Das Fehlen eines Vertrauenszeichen von Seiten der kirchlichen Amtsträger ist für ihn ein großer Schmerz, gerade weil sein Leben aus der Kirche heraus und für die Kirche so fundamental zu seiner Identität gehört. Erst 1952, Guardini ist schon 67 Jahre alt, scheinen die Vorbehalte beseitigt und er wird zum päpstlichen Hausprälaten ernannt. Damit spricht ihm die Kirche das Vertrauen aus, "nach dem mich immer verlangt hat."
Zahlreich sind die Ehrungen, mit denen Guardini in seinen letzten Lebensjahren überhäuft wird. Er selbst meint dazu: "Die Ehrungen kommen, das Leben geht."
Guardini, zeitlebens nie von strotzender Gesundheit, leidet im Alter an einer sehr schmerzlichen Neuralgie, die begleitet ist von Schwermut und dem Gefühl der Sinnlosigkeit. Beides versucht er im Vertrauen auf Gott zu leben, "in einer Lebensgemeinschaft mit dem gekreuzigten Herrn."
Paul VI. bietet ihm den Kardinalshut an, eine Ehrung, die Guardini ablehnt.

Unruhig ist unser Herz ...

Am 3o. September 1968 bereitet sich ein Schlaganfall vor. Am Abend dieses Tages betet Guardini zum heiligen Augustinus, und bleibt bei dem Satz: Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir, stehen, den er oft wiederholt. Am 1.Oktober stirbt Guardini wie in einem Einschlafen. Er ist 83 Jahre alt geworden. Sein Grab befindet sich in München in der Ludwigskirche.
Die Grabinschrift lautet: Romano Guardini, Im Glauben an Jesus Christus und seine Kirche, im Vertrauen auf sein gnädiges Gericht.

Zusammengestellt nach:
Romano Guardini: Stationen und Rückblicke. Matthias-Grünewald-Verlag.
H.B. Gerl-Falkowitz: Romano Guardini. Matthias-Grünewald-Verlag.
Joachim Reber: Romano Guardini begegnen. Sankt-Ulrich-Verlag