"Ich will Interpret der Kirche sein, sonst
nichts."
Guardini war von Beruf und Berufung Priester. Und er war Lehrer.
Priester und Lehrer, das nennt er selbst die zwei wesentlichen Linien
seines Lebens. Johannes Paul II. zählt ihn 1980 in Altöttingen zu den
bahnbrechenden deutschen Theologen. Priester, Theologe, Lehrer,
Jugendleiter.... ein Leben für Gott und die Kirche, ein unaufhörliches
Suchen und Fragen nach der Wahrheit in der liebenden Sorge um den
Menschen.
Kindheit
Romano Guardini wird am 17. Februar 1885 in Verona, als ältester von
vier Brüdern in Italien geboren. Ein Jahr nach der Geburt Romanos
übersiedelt die Familie nach Mainz, wo Guardini ganz in die deutsche
Kultur hineinwächst. Er ist auch der einzige der Familie, der sich
entscheidet in Deutschland zu bleiben und nicht nach Italien
zurückzukehren. Die Eltern sind gläubig und gehen jeden Sonntag zur
Kirche; die Religiosität ist in der Familie wie selbstverständlich
gegeben, wenngleich man über Religiöses nicht ohne besonderen Anlass
spricht. Die Entscheidung Romanos zum Priestertum nach zwei abgebrochenen
Studien trifft bei den Eltern anfänglich auf erheblichen Widerstand.
"Mir ist der ganze Glaube zerronnen"
Nach dem Abitur stellt sich dem 18- jährigen die schwierige Frage nach
der Berufswahl. Er studiert zuerst Chemie, allerdings ohne sonderliche
Begabung und Neigung, um dann zu den Staatswissenschaften zu wechseln. Er
sah nach wenigen Semestern ganz klar, dass er in beiden Richtungen fehl am
Platz war, dass beides nicht sein Innerstes berühren und freisetzen
konnte. Aber was sonst? Die bisherige Berufswahl war also gescheitert; er
begann an die Medizin zu denken... "Ich sah mit Grauen die Frage
auftauchen, was aus mir werden solle? Wie konnte ich meinem Vater sagen,
auch mit diesem zweiten Studium sei es nichts und, noch schlimmer, ich
wisse kein anderes?" Das Ringen um seinen Weg wirft ihn in ungekannte
Tiefen: "Meine religiösen Überzeugungen gerieten ins Wanken. Einen
besonderen Anlass kann ich dafür nicht nennen. Wenn ich Abends mein
Abendgebet sprechen wollte, wusste ich nicht, wohin ich es richten solle
und ich habe manches Mal - eine groteske Sache - einen Gottesbeweis
rekapituliert, um zu wissen, dass es einen Gott gäbe, zu dem ich beten
könne ... damals ist mir der ganze Glaube zerronnen."
Der
geistliche Einbruch
In dieser ausweglosen, für Romano sehr schmerzhaften Krise kommt ihm
Gott sozusagen entgegen: In ihm wächst eine neue Gestalt des Glaubens,
eine Entschiedenheit für den Glauben, die über die elterliche Prägung und
das zerronnene religiöse Schulwissen hinausging. Mit seinem besten Freund
Karl spricht Guardini viel über die Fragen des Glaubens. Ein Gespräch wird
unvermutet zu einer Stunde der Gnade: "Ich erinnere mich, als sei es
gestern gewesen ... Karl und ich hatten über die Fragen, die uns beide
beschäftigten gesprochen und mein letztes Wort hatte gelautet: Es wird
wohl auf den Satz herauskommen: Wer seine Seele festhält, wird sie
verlieren; wer sie aber hergibt, wird sie gewinnen. Da war mir zumute,
als ob ich alles - wirklich alles, mein Dasein - in meinen Händen trüge,
wie in einer Waage, die im Gleichgewicht stand: Ich kann sie nach rechts
sinken lassen oder nach links. Ich kann meine Seele hergeben oder sie
behalten ... Und da habe ich die Waage dann nach rechts sinken lassen. Der
Augenblick war ganz still. Da war weder eine Erschütterung noch eine
Erleuchtung ... Es war die ganz klare Einsicht: "so ist es" - und die
unmerklich leise Bewegung: "so soll es sein." In den nächsten Tagen war
ich sehr glücklich, in einem ruhigen und stillen Glück." Guardini fühlt
in diesem Wort aus dem Matthäusevangelium einen Weg zur Wahrheit sich
öffnen, zum Leben, zum Dasein. Er will fortan sein Leben Gott geben. Aber
nicht in einem allgemeinen, vagen Sinn, sondern seine Entscheidung für
Christus ist als endgültige Antwort vor der Kirche gefallen. Guardini hat
den Anruf Gottes erfahren, dabei ist sein Innerstes, seine Person erwacht,
nun bereit, den Weg, den Gott in führt, zu gehen. Sehr viel von dem, was
Guardini später schreiben und lehren wird, hat in diesem
Bekehrungserlebnis seine existenziellen Wurzeln. Er führt nun sein
religiöses Leben mit neuer Kraft und neuem Sinn gefüllt weiter. Allerdings
ist die quälende Frage der Berufswahl immer noch nicht geklärt. Eines
Sonntags, beim Hochamt kommt ihm, angesichts eines Dominikaners, der
voller Frieden mit seinem Klingelbeutel kollektierend herumgeht, der
Gedanke: "Du könntest Priester werden! Und da war es, als ob alles ruhig
und klar würde und ich ging mit einem Glücksgefühl nach Hause, wie ich es
seit langem nicht mehr empfunden hatte." 1910 wird Guardini im Mainzer
Dom zum Priester geweiht. Zur Priesterweihe eines Freundes schreibt
Guardini später folgende Worte, die sein eigenes priesterliches "Programm"
zum Ausdruck bringen: "Ich wünsche dir ein Gott ganz nahes und unserer
Zeit ganz nahes Priesterleben. Es möge so sein, dass du um das ganz
besondere Amt wissest mit seiner Gewalt von Gott zu den Menschen; von den
Menschen zu Gott. Aber zugleich ganz gelöst und selbstverständlich als
Bruder neben die Geschwister tretest." Guardini stellt sich mit den
Menschen zusammen in das Suchen und Fragen hinein, um mit ihnen gemeinsam
Wege und Klärung zu finden. Er selbst nennt das ein brüderlicher Priester
sein.
Der Lehrer:
"Die Welt in Wahrheit sehen"
Jahrzehntelang lehrt Guardini an verschiedenen Universitäten
Deutschlands. Der Grundantrieb in Guardinis Denken war die Sehnsucht, zu
"sehen, was ist." Sein Lehrstuhl heißt bezeichnenderweise Lehrstuhl für
christliche Weltanschauung. Welt ist für ihn ein Werk des sich
offenbarenden Gottes, und diese will er in ihrer eigentlichen Wahrheit
sehen. Deshalb betrachtet er die Welt und begegnet ihr vom Blickpunkt der
Offenbarung und von dort her leistet er - die auch für unsere Zeit so
notwendige - Unterscheidung und erzieht das Denken dazu, dass es
christlich werde und christlich unterscheiden lerne. Er selbst bezeichnet
die Dogmen als das Koordinatensystem seines Denkens. Die Palette seines
schriftstellerischen Schaffens ist ungemein weit: Er reflektiert über die
anthropologische Bedeutung der Mickey Mouse genauso wie über die
religiösen Gestalten in Dostojewskis Werk. Dabei geht es ihm immer um Gott
und wie die Menschen zu Ihm finden können. Sein Stil ist unaufdringlich
und gänzlich unpolemisch, beinahe zart und leise, möchte man sagen, aber
seine Gedanken sind kräftig und tief. In Vorträgen und Gesprächen merkt
Guardini immer mehr, was sein ureigenstes Charisma ist: Er kann
Erfahrungen, Ahnungen, Hoffnungen, Ängste aber auch Symptome einer
Gesellschaft und einer Zeit in Worte fassen. Was gleichsam unausgesprochen
eine Zeit und Welt prägt, das nimmt er in den Blick und ordnet es hin auf
die Offenbarung. Er kann Offenbarung und Glaube einerseits mit Welt und
Zeit andererseits in Verbindung bringen, dergestalt, dass es für den
Einzelnen Deutung und Wegweisung wird. Die Fähigkeit, die Wahrheit zum
Leuchten zu bringen, prägt auch Guardinis seelsorgerische Tätigkeit im
persönlichen Gespräch. Wahrheit bedeutet ja auch: "Sein Leben, sein
Dasein so zu sehen, wie es wirklich ist, den Blick auf den eigenen Weg,
auf das eigene Leben vor dem Horizont, wie es Gott eigentlich gewollt
hat." Vielen hat er in Gespräch und Begleitung geholfen, ihre
Lebens-Wahrheit zu finden und anzunehmen und so weitergehen zu können.
"Ich lernte immer besser zuzuhören und den Raum zu schaffen, in welchem
der andere nicht bloß zum Sprechen frei wird, sondern auch sich selbst
richtig in den Blick bekommt. Und zu verstehen: Keine fertigen Schemata
anzulegen, sondern den Menschen, der ja immer ein Einzelner ist, aus ihm
selbst zu erfassen. Daraus ergibt sich das klärende oder richtungsweisende
Wort oft ganz von selbst."
"Ein
Geheimnis, heilig und bergend zugleich"
Guardini zählt zu den zentralen Gestalten des liturgischen Aufbruchs,
wie er sich im 20. Jahrhundert in der katholischen Kirche vollzogen hat
und der seinen Höhepunkt in der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen
Konzils gefunden hat. (siehe dazu Seite xx). Liturgie ist für Guardini
eine wesentliche Lebensäußerung der Kirche und darum wünscht er
sehnlichst, dass Liturgie auch wesentlich- eines seiner Lieblingswörter-
gefeiert wird. Als junger Student hatte Guardini bei Benediktinern eine
tiefgreifende liturgische Erfahrung gemacht: "Die Kirche war schon dunkel,
nur wenig Lichter im Chor. Die Mönche standen an ihren Plätzen und beteten
die schönen Psalmen. Durch die ganze Kirche waltete ein heiliges
Geheimnis, heilig und bergend zugleich." Guardini ist mit einer Ahnung
erfüllt, was Liturgie sein kann und soll. Er sieht, wie viel Mächtiges und
Herrliches die Liturgie birgt. Die Liturgie bliebt Guardinis Anliegen sein
ganzes Leben lang. Er erkennt und versteht, dass Liturgie einen heiligen
Raum aufspannt, in den Gott den Menschen, jeden Menschen, einlädt
einzutreten, um Anteil zu haben am Leben Gottes. Liturgie als ein
Sichtbarwerden des Unsichtbaren, die Verleiblichung des Geistes, als den
Nachvollzug der Inkarnation Jesu. Besonders deutlich wird dies natürlich
in der Feier der Eucharistie. Besorgt fragt Guardini, inwieweit der
heutige Mensch fähig sei, Liturgie zu feiern, inwieweit er "die andere
Seite" im liturgischen Tun überhaupt noch wahrnehmen kann. Liturgie
hat für Guardini wesentlich mit Leiblichkeit zu tun. Er sagt selbst, "wir
müssen weg von einer verlogenen Geistigkeit! Der ganze Mensch trägt das
liturgische Tun." Der Mensch muss wieder symbolfähig werden, er muss
wieder lernen, dass Ganze aus zwei Hälften besteht und wenn die eine
Hälfte fehlt - der vollziehende Ausdruck - dann ist das Innere nicht nach
außen gedrungen. Das alles bleibt allerdings nicht nur schöne
Gedankenwelt, wohlformuliert in Büchern niedergeschrieben, sondern seine
Sicht von Kirche und Liturgie findet im Umgang und in der Zusammenarbeit
mit den Jugendlichen ihre konkrete Umsetzung.
Der
Jugendleiter
Guardini ist bis in die Tiefe seines Lebens und Wirkens mit der
Jugendbewegung verbunden. Die katholische Jugendbewegung, in der sich
Jugendliche zusammenfinden in der Sehnsucht gemeinsam neue Wege zu gehen,
gliedert sich in verschiedene Verbände. Einer dieser Zusammenschlüsse, der
Quickborn, wird für Guardini wesentlich und umgekehrt. Der Quickborn hat
seinen Sitz auf einer Burg in der Nähe von Würzburg, Rothenfels, deren
Leiter Guardini für 12 Jahre ist, von 1927 bis 1939. Guardini hat eine
besondere Gabe die Jugend zu führen. Durch Vorträge, verschiedene
Werkwochenenden - die wir heute Workshops nennen würden - und vor allem
durch das Feiern der Liturgie eröffnet Guardini den Jugendlichen einen
neuen Zugang zur Kirche. Kirche als ein lebendiger Organismus, in den der
einzelne Gläubige organisch und lebendig hineingefügt ist. Als Teil diese
Leibes ist der Einzelne auch eine unvertretbare Ausformung desselben. Auf
Burg Rothenfels geschieht, was Guardini einen religiösen Vorgang von
unabsehbarer Tragweite nennt: die Kirche erwacht in den Seelen. Ganz von
selbst ergibt sich dann der Wunsch, immer tiefer in dieses Beten
einzudringen, die liturgischen Handlungen immer besser zu verstehen und an
ihnen, jeder an seinem unaustauschbaren Platz, aktiv teilzunehmen.
Darin versucht sich Guardini mit den jungen Leuten einzuüben: Atmen,
Schreiten, Stehen, Tanz, Schweigen, Singen, Sprechchöre, das alles wird
neu "entdeckt" und gelebt; man entdeckt die Ganzheit des liturgiefeiernden
Menschen, vor allem die Dimension seiner Leiblichkeit, die Bedeutung des
liturgischen Raumes sowie der liturgische Kleidung. Dabei ist Liturgie für
Guardini nie Selbstzweck eines Menschen, der sich ausleben und
selbsterfahren will, nein, sie ist immer ein Weg zu Christus. Es ist
unumstritten, dass die Bemühungen um eine liturgische Erneuerung auf Burg
Rothenfels unmittelbares Vorbild für die Liturgiereform des Zweiten
Vatikanischen Konzils waren.
1933
In diesem Jahr übernehemen Hitler und die Nationalsozialisten die
Macht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Auswirkungen auch in
Guardinis Leben und Wirken bemerkbar machen. 1939 wird Gaurdinis Lehrstuhl
aufgehoben. Erstaunlich ist nicht, dass sein Lehrstuhl für Christliche
Weltanschauung aufgehoben wird, sondern dass es erst so spät geschieht. Er
selbst ist von Semester zu Semester darauf gefasst. Ab 1936 wird sein Tun
von der Gestapo überwacht, sowohl auf der Universität wie auf der Burg,
auch sein Privatleben. 1939, im August, wird die Burg von den
Nationalsozialisten konfisziert. Das schöne Leben dort hört auf, der Geist
und Freude am Glauben, an Gemeinschaft und Kirche verstummten. Einen Monat
später beginnt der Krieg. In einer Nacht und Nebel Aktion kann man noch
belastendes Material vernichten, eine Aktion, die vermutlich Guardini vor
weiteren Schritten der Gestapo bewahrt.
"Die
Ehrungen kommen, das Leben geht."
Lange Zeit hat Guardini um die Anehrkennung von Seiten der Kirche zu
kämpfen. Immer wieder muss er sich gegen Missverständnisse wehren, nicht
nur in Fragen der liturgischen Erneuerung. Das Fehlen eines
Vertrauenszeichen von Seiten der kirchlichen Amtsträger ist für ihn ein
großer Schmerz, gerade weil sein Leben aus der Kirche heraus und für die
Kirche so fundamental zu seiner Identität gehört. Erst 1952, Guardini ist
schon 67 Jahre alt, scheinen die Vorbehalte beseitigt und er wird zum
päpstlichen Hausprälaten ernannt. Damit spricht ihm die Kirche das
Vertrauen aus, "nach dem mich immer verlangt hat." Zahlreich sind die
Ehrungen, mit denen Guardini in seinen letzten Lebensjahren überhäuft
wird. Er selbst meint dazu: "Die Ehrungen kommen, das Leben geht."
Guardini, zeitlebens nie von strotzender Gesundheit, leidet im Alter
an einer sehr schmerzlichen Neuralgie, die begleitet ist von Schwermut und
dem Gefühl der Sinnlosigkeit. Beides versucht er im Vertrauen auf Gott zu
leben, "in einer Lebensgemeinschaft mit dem gekreuzigten Herrn." Paul
VI. bietet ihm den Kardinalshut an, eine Ehrung, die Guardini ablehnt.
Unruhig ist
unser Herz ...
Am 3o. September 1968 bereitet sich ein Schlaganfall vor. Am Abend
dieses Tages betet Guardini zum heiligen Augustinus, und bleibt bei dem
Satz: Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir, stehen, den er
oft wiederholt. Am 1.Oktober stirbt Guardini wie in einem Einschlafen. Er
ist 83 Jahre alt geworden. Sein Grab befindet sich in München in der
Ludwigskirche. Die Grabinschrift lautet: Romano Guardini, Im Glauben
an Jesus Christus und seine Kirche, im Vertrauen auf sein gnädiges
Gericht.
Zusammengestellt nach: Romano Guardini: Stationen und Rückblicke.
Matthias-Grünewald-Verlag. H.B. Gerl-Falkowitz: Romano Guardini.
Matthias-Grünewald-Verlag. Joachim Reber: Romano Guardini begegnen.
Sankt-Ulrich-Verlag
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